Nicht geringe Menge Cannabis KCanG – Licht und tiefe Schatten in der Rechtsprechung

Die am 11.6.2024 veröffentlichte Entscheidung des sechsten Strafsenats des BGH schafft endlich Klarheit zur Berechnung der nicht geringen Menge bei Cannabis. Auch dieser Beschluss ist aber in sich fehlerhaft. Die nicht geringe Menge Cannabis z.B. in § 34 Abs. 3 S. 2 Nr. 4 KCanG hat sich in der Rechtsprechung des BGH mittlerweile mit 7,5g THC gefestigt. Offen blieb aber bislang, ob die nicht strafbare Menge von 60 Gramm brutto am Wohnsitz abgezogen werden muss oder die gesamte Menge anzuklagen ist.

In Entscheidungen des ersten und fünften Strafsenats hat der BGH noch weitgehend offen gelassen, ob die nicht strafbare Menge bei der Berechnung abzuziehen ist oder nicht. Vor Bekanntwerden dieser Entscheidungen ging die absolut herrschende Ansicht in Praxis und Wissenschaft davon aus, die nicht strafbare Menge bzw. jedenfalls die legale Menge sei abzuziehen. Die Entscheidungen des ersten und fünften Senats deuteten völlig überraschend eher an, die Gesamtmenge sei Grundlage für die Strafbarkeit und Abzug solle nicht stattfinden. Auch die legale Teilmenge wäre nach diesen Entscheidungen mit anzuklagen und gegebenenfalls in die Berechnung der nicht geringen Menge mit aufzunehmen.
Der sechste Strafsenat schafft dahingehend Klarheit und gibt jetzt ein klein wenig Grund zur Hoffnung in Bezug auf § 34 Abs. 3 S. 2 Nr. 4 KCanG:

“Bei Abzug der jeweils erlaubten und vom Gesetzgeber als unbedenklich erachteten Freimengen von 30 beziehungsweise 60 Gramm oder – im Zusammenhang mit den Anbauvereinigungen – von 25 Gramm täglich oder 50 Gramm im Monat bleibt hingegen ein hinreichender, in den Normalstrafrahmen (§ 34 Abs. 1 Nr. 1 KCanG) einzuordnender Strafbarkeitsbereich. Denn bei einem Wirkstoffgehalt von 22,5 % wäre etwa die für die Anwendung des besonders schweren Falls (§ 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG) relevante Wirkstoffmenge von 7,5 Gramm erst ab einer Gesamtbesitzmenge von 93,33 Gramm Cannabisharz erreicht.”

Beschluss des 6. Strafsenats vom 30.4.2024 – 6 StR 536/23 – Rn. 30.

Außerdem weist der sechste Strafsenat darauf hin, dass beim verbotenen Handeltreiben die nicht strafbare Freimenge nicht abzuziehen ist. Im Umkehrschluss ist beim Besitz und Anbau die legale Menge durchaus abzuziehen. Der Hinweis auf das Handeltreiben ist obsolet, da dafür keine Freimenge existiert. Nach der in jeder Hinsicht umstrittenen Entscheidung des ersten Strafsenates vom 18.4.2024 (1 StR 106/24) ist das ein erster kleiner Lichtblick.

Mehr zur umstrittenen Entscheidung des ersten Senats zum KCanG:

Nicht geringe Menge Cannabis § 34 KCanG - BGH 1 StR 106/24

Fehler im Beschluss des sechsten Strafsenats zur nicht geringen Menge

Aber auch der Beschluss des sechsten Senats hat seine Schattenseiten und ist in sich systematisch und inhaltlich falsch.

Der schwere Fehler ist schon die Bezeichnung „entkriminalisiert“. Aus der ganzen Entscheidung wird die Intention klar, Cannabis weiter als illegales Betäubungsmittel und gefährliche Droge zu behandeln und das BtMG weiter unter dem Namen KCanG entsprechend anzuwenden. Cannabis ist aber nicht entkriminalisiert.
Der private Eigenanbau und der Besitz sind in den Grenzen des KCanG legal(!). Dass der sechste Senat das Wort „entkriminalisiert“ verwendet, zeugt – wie schon die Entscheidungen der anderen Senate – von Ignoranz, die sogar politische Motive vermuten lässt. Der sechste Senat zitiert in der Entscheidung zwar zunächst den Gesetzeszweck richtig mit verbessertem Gesundheitsschutz, cannabisbezogener Aufklärung und Prävention, Eindämmung des illegalen Schwarzmarktes sowie Kinder- und Jugendschutz. Dann verrennt sich der sechste Senat jedoch in einem falschen Rückgriff auf den – zudem falsch wiedergegebenen – Schutzzweck des BtMG:

„Es zielt – wie das Betäubungsmittelgesetz – darauf ab, die menschliche Gesundheit sowohl des Einzelnen wie der Bevölkerung im Ganzen vor den von Cannabis ausgehenden Gefahren zu schützen und die Bevölkerung, vor allem Jugendliche, vor Abhängigkeit von Cannabis zu bewahren (vgl. zum BtMG BVerfGE 90, 145, 174).“

Dieser Rückgriff auf über 30 Jahre alte Rechtsprechung zu Cannabis als Betäubungsmittel ist jedoch nicht nur systematisch falsch. Das KCanG soll ausdrücklich verantwortungsvollen Umgang mit Cannabis erleichtern und privaten sowie gemeinschaftlichen Eigenanbau und kontrollierte Weitergabe durch Anbauvereinigungen ermöglichen (BT-Drs. 20/10426, S. 2).
Der argumentative Sprung von „verantwortungsvollen Umgang erleichtern“ zum Sinn und Zweck, die „Bevölkerung vor den von Cannabis ausgehenden Gefahren zu schützen“ überschreitet die Grenzen der Auslegung offensichtlich. Deswegen liegt auch bei dieser Entscheidung zur nicht geringen Menge ein Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot in Art. 103 Abs. 2 GG nahe.

aa) Da der Konsum von Cannabis, das auf dem Schwarzmarkt bezogen wird, häufig mit einem erhöhten Gesundheitsrisiko einhergeht, hat der Gesetzgeber nach § 2 Abs. 1 i.V.m. § 3 Abs. 1 und 2 KCanG den Eigenkonsum, den privaten Eigenanbau sowie den damit verbundenen Besitz der ungeernteten Cannabispflanze (vgl. § 9 KCanG) und – mit Wirkung ab dem 1. Juli 2024 (Art. 15 Abs. 2 CanG) – schließlich den gemeinschaftlichen Eigenanbau und die Weitergabe von Cannabis für den Eigenkonsum an Mitglieder in Anbauvereinigungen (§ 11 Abs. 1 KCanG) auch und gerade mit dem Ziel einer Eindämmung des illegalen Marktes für Cannabis entkriminalisiert (BT-Drucks. 20/8704, S. 68).
bb) Handeltreiben birgt demgegenüber die Gefahr der Ansammlung einer erhöhten und unkontrollierten Drogenmenge (vgl. Patzak/Volkmer/Fabricius, BtMG, 10. Aufl., § 29a BtMG Rn. 35 mwN), und an seinem Verbotszweck hat sich durch die Neuregelung nichts geändert (vgl. BT-Drucks. 20/8704, S. 94). Das Konsumcannabisgesetz bezweckt einen verbesserten Gesundheitsschutz, soll die cannabisbezogene Aufklärung und Prävention stärken, den illegalen Markt für Cannabis eindämmen sowie den Kinder- und Jugendschutz verbessern (vgl. BT-Drucks. 20/8704, S. 68). Es zielt – wie das Betäubungsmittelgesetz – darauf ab, die menschliche Gesundheit sowohl des Einzelnen wie der Bevölkerung im Ganzen vor den von Cannabis ausgehenden Gefahren zu schützen und die Bevölkerung, vor allem Jugendliche, vor Abhängigkeit von Cannabis zu bewahren (vgl. zum BtMG BVerfGE 90, 145, 174).

Beschluss des 6. Strafsenats vom 30.4.2024 – 6 StR 536/23 –

Konsequente Auslegung des AG Bautzen – Legale Mengen müssen herausgegeben werden

Im Fall am AG Bautzen (Beschl. v. 27.05.2024 – 47 Gs 409/24) wurden im Rahmen einer Durchsuchung vier Pflanzen beschlagnahmt, also eine mehr als die erlaubten drei. Das AG Bautzen bestätigte lediglich die Beschlagnahme der vierten Pflanze als Beweismittel sowie zur Sicherung der späteren Einziehung im Hauptverfahren nach § 37 KCanG, § 74 StGB.

Die Beschlagnahme der drei legalen Pflanzen bestätigte das Amtsgericht nicht. Damit sind die Pflanzen unverzüglich herauszugeben. Das AG Bautzen erlaubt sich noch klarstellend den Hinweis: „Das Gericht ist sich durchaus bewusst, dass dies im Ergebnis dazu führen dürfte, dass die Ermittlungsbehörden die erlaubten Mengen Cannabis abwägen bzw. abzählen und beim Beschuldigten belassen oder an zurückgeben werden müssen.“

Bisherige Rechtsprechung zur nicht geringen Menge Cannabis nach § 34 Abs. 3 S. 2 Nr. 4 KCanG:

Lichtblick ausgerechnet aus Bayern: BayObLG, 206 StRR 129/24

Bemerkenswert progressiv gab sich noch ausgerechnet das Bayerische Oberste Landesgericht in der Entscheidung vom 12.04.2024. Die Richterinnen und Richter in Bayern ließen den Wert der nicht geringen Menge Cannabis zwar noch offen, wiesen in den Urteilsgründen aber – wie auch schon die Gesetzesbegründung – ausdrücklich darauf hin, dass der Wert neu zu bestimmen sei.
Anders als die BGH-Beschlüsse betont das BayObLG, dass ein Rückgriff auf die herkömmliche Rechtsprechung zum BtMG alleine nicht ausreichend sei. Im Nachgang mutet das kurios an, da die Senate des BGH in den Begründungen mehrfach ausdrücklich auf teilweise über 40-Jahre-alte Entscheidungen des BGH zum BtMG zurückgegriffen haben.

Das Landgericht hatte bei einem Wirkstoffgehalt von mindestens 16,13 Gramm THC nach der damaligen Rechtslage und ständigen Rechtsprechung zwar keinen Anlass, an der „nicht geringen Menge“ des gegenständlichen Cannabis im Sinne des § 29a BtMG zu zweifeln, welche bei 7,5 Gramm angenommen wurde (Patzak/Volkmer/Fabricius/Patzak, BtMG 10. Aufl. 2022, § 29a Rn. 63). Der Gesetzgeber hat jedoch mit dem CanG eine „geänderte Risikobewertung“ hinsichtlich dieses Betäubungsmittels vorgenommen (BT-Drucksache 20/8704 S. 69) und geht davon aus, dass die Höhe der „nicht geringen Menge“ nach Inkrafttreten des KCanG deutlich höher liegen werde als nach der bisherigen Rechtsprechung (BTDrucksache 20/10426 S. 140). Die Strafwürdigkeit des Besitzes von Cannabis ist daher nunmehr neu zu bewerten und kann sich nicht im Rückgriff auf herkömmliche Rechtsprechung erschöpfen.

BayObLG, Beschluss v. 12.04.2024 – 206 StRR 129/24, Rn. 9.

Das BayObLG weist außerdem richtigerweise deutlich darauf hin, dass beim Regelbeispiel § 34 Abs. 3 Ziff. 4 KCanG nicht geringe Menge THC eine Gesamtwürdigung der Strafzumessungstatsachen erfolgen muss und das Regelbeispiel nicht automatisch bei Überschreitung der nicht geringen Menge erfüllt ist.

Nicht geringe Menge Cannabis Bayerisches Oberstes Landesgericht

Auch das Regelbeispiel des § 34 Abs. 3 Ziff. 4 KCanG ist nicht „automatisch“ bei Überschreitung der (noch zu definierenden) „nicht geringen Menge“ von Cannabis erfüllt. Vielmehr können nach einer Gesamtwürdigung der relevanten Strafzumessungstatsachen gewichtige Milderungsgründe gegen die Anwendung des erhöhten Regelstrafrahmens sprechen (BGH, Urteil vom 20. April 2016 – 5 StR 37/16 –, juris, Rn. 7). Vorliegend hat das Landgericht – nach damaliger Rechtslage nicht zu beanstanden – einen minder schweren Fall gem. § 29a Abs. 2 StGB angenommen und hierfür zutreffend eine Vielzahl erheblicher Milderungsgründe angeführt. Diese sprechen jedoch ebenfalls gegen die Anwendung des § 34 Abs. 3 Ziff. 4 KCanG. Insbesondere die gesetzgeberische Wertung, wonach der Besitz von Cannabis zum Eigenverbrauch weniger strafwürdig ist (§ 35a KCanG), schlägt ganz erheblich zu Gunsten des nicht vorbestraften, geständigen Angeklagten zu Buche.

BayObLG, Beschluss v. 12.04.2024 – 206 StRR 129/24

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