Untersuchungshaft – Voraussetzungen

Untersuchungshaft ist die Haft in einer Justizvollzugsanstalt, die sicherstellen soll, dass das Hauptverfahren durchgeführt werden kann, die Ermittlungen nicht beeinträchtigt werden und/oder die Allgemeinheit geschützt wird.

Die Untersuchungshaft ist von der vorläufigen Festnahme zu unterscheiden. Die vorläufige Festnahme geht aber meist der Untersuchungshaft voraus. Vorläufige Festnahme ist die Ingewahrsamnahme des Beschuldigten meist durch die Polizei. Wird jemand zum Beispiel im Anschluss an eine Durchsuchung vorläufig festgenommen, muss er bis zum Ende des nächsten Tages dem Ermittlungsrichter zur Entscheidung über die Anordnung von Untersuchungshaft vorgeführt werden.

Wir sind mit fünf Strafverteidigern bundesweit auf Betäubungsmittelstrafrecht spezialisiert.

Befürchten Sie eine Hausdurchsuchung oder Festnahme?
Legen Sie sich sofort unseren Notfallplan bereit.

NOTFALLPLAN Herunterladen

Tipp für Angehörige:

  • Im Rahmen der vorläufigen Festnahme und im Vorführungstermin sollte unbedingt vom Aussageverweigerungsrecht Gebrauch gemacht werden. Glauben Sie nicht möglichen Versprechungen der Polizei oder der Staatsanwaltschaft im Rahmen der Untersuchungshaft und der Festnahme. In diesem Zeitpunkt des Ermittlungsverfahrens passieren die meisten irreparablen Fehler.
  • Überstürzen Sie nicht die Auswahl des Strafverteidgers. Es kann auch schlecht sein, sich mit dem vom Gericht ausgesuchten Pflichtverteidiger abzufinden. Finden Sie keinen spezialisierten Strafverteidiger oder ist der von Ihnen bevorzugte Verteidiger nicht erreichbar, gibt es keinen Grund zur Panik. Solange Sie von Ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch machen, können Sie in der Untersuchungshaft praktisch nichts falsch machen.

Die Anordnung, eine Person in Untersuchungshaft zu nehmen (der sog. Haftbefehl), darf allein von einem Gericht erlassen werden. Im Ermittlungsverfahren ist dafür der Ermittlungsrichter zuständig, nach Erhebung der öffentlichen Klage das mit dieser Klage befasste Gericht.

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

Formelle Voraussetzungen der Untersuchungshaft

Voraussetzung der Untersuchungshaft ist nach § 114 StPO zunächst ein schriftlicher Untersuchungshaftbefehl. Der Haftbefehl muss von dem nach § 125 zuständigen Richter schriftlich erlassen werden.
Der Untersuchungshaftbefehl muss eine schriftlich abgefasste Begründung enthalten, aus der hervorgehen muss, welcher Taten der Beschuldigte dringend verdächtig ist und worauf die richterliche Überzeugung beruht.

Ist in einem Ermittlungsverfahren Untersuchungshaft angeordnet, so ist das Verfahren als Haftsache besonders beschleunigt zu behandeln. Gegenüber sonstigen Strafsachen haben Untersuchungshaftsachen Vorrang. Mögliche angesetzte Termine in sonstigen Strafsachen müssen gegebenenfalls aufgehoben werden, um vorrangige Haftsachen zu verhandeln (OLG Hamm Beschl. v. 19.2.2009 – 2 Ws 41/09).
(KK-StPO/Graf, 7. Aufl. 2013, StPO § 112 Rn. 2 – 2bb)

Untersuchungshaft Voraussetzungen §112 StPO

Materielle Voraussetzungen der Untersuchungshaft

„Die Untersuchungshaft darf gegen den Beschuldigten angeordnet werden, wenn er der Tat dringend verdächtig ist und ein Haftgrund besteht.“
§ 112 I 1 StPO

Die Voraussetzungen der Untersuchungshaft sind grundsätzlich:

  • Dringender Tatverdacht
  • Haftgrund
  • (Verhältnismäßigkeit)

Dringender Tatverdacht Definition

Dringender Tatverdacht im Rahmen der Untersuchungshaft nach § 112 I 1 StPO ist gegeben, wenn eine große Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass der Beschuldigte als Täter oder Teilnehmer eine Straftat begangen hat (BVerfG NJW 1996, 1049; BGH NStZ 1992, 449). Dringender Tatverdacht ist nicht schon gegeben, wenn nur eine „gewisse Wahrscheinlichkeit“ für die Täterschaft besteht (BGH, 05.05.1992 – 2 BJs 15/92-5, StB 9/92). Für die Untersuchungshaft ist eine Prognoseentscheidung der Verurteilungswahrscheinlichkeit vorzunehmen. Die Wahrscheinlichkeitsbeurteilung ist auf Grund des aktuellen Ermittlungsstandes zu fällen.

Haftgrund § 112 II StPO

Untersuchungshaft setzt grundsätzlich zwingend einen Haftgrund voraus. Die Haftgründe für Untersuchungshaft sind abschließend in §§ 112 II und 112a StPO geregelt. Haftgründe sind:

  • Flucht
  • Fluchtgefahr
  • Verdunkelungsgefahr
  • Wiederholungsgefahr

Definition Flucht

„Ein Haftgrund besteht, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen festgestellt wird, daß der Beschuldigte flüchtig ist oder sich verborgen hält.“
§ 112 II Nr. 1 StPO

Der Haftgrund der Flucht besteht aus zwei Alternativen, der Flucht und dem Verborgenhalten. Eine der Alternativen ist ausreichend, um einen Haftbefehl zu rechtfertigen.

Definition von Flucht nach § 112 I Nr. 1 StPO: Absetzen ins Ausland mit dem Ziel und der Wirkung, für Ermittlungsbehörden und Gerichte zumindest für längere Zeit unerreichbar und ihrem Zugriff auch wegen der zu erwartenden Strafvollstreckung entzogen zu sein. Flucht setzt einen Auslandsbezug voraus.
Für Untersuchungshaft wegen Flucht ist zwingend ein Finalzusammenhang notwendig. Das ist der innere Zusammenhang zwischen dem Absetzen ins Ausland und der Straftat. Der Wille, sich dem Verfahren zu entziehen, ist notwendig. Ein bloßer Umzug ins Ausland oder ein langer Urlaub rechtfertigt noch keine Untersuchungshaft nach § 112 I Nr. 1 StPO.

Definition von Verborgenhalten: Verborgen hält sich die Person, die unangemeldet, unter falschem Namen oder an einem unbekannten Ort lebt, um sich dem Strafverfahren zu entziehen.
Auch für Untersuchungshaft auf Grund Verborgenhaltens ist der Finalzusammenhang erforderlich, für die Ermittlungsbehörden nicht auffindbar zu sein. Bloße Obdachlosigkeit oder Verstoß gegen die Meldepflicht reicht für sich genommen nicht aus.

Definition Fluchtgefahr

Fluchtgefahr ist in der Praxis der wohl häufigste Haftgrund für Untersuchungshaft. Grund dafür könnte sein, dass dieser Haftgrund für die Staatsanwaltschaft am einfachsten zu begründen ist.

Definition der Fluchtgefahr nach § 112 II Nr. 2: Bei Würdigung aller Umstände des Einzelfalles muss eine höhere Wahrscheinlichkeit dafür sprechen, dass sich der Beschuldigte zumindest für eine gewisse Zeit dem Strafverfahren entziehen wird, als für die Erwartung, er werde sich dem Verfahren zur Verfügung halten. (MüKoStPO/Böhm/Werner, 1. Aufl. 2014, StPO § 112 Rn. Randnummer 41)

Es ist in jedem Fall auch hier aktives Tun notwendig. Bloße Passivität kann nicht zur Anordnung von Untersuchungshaft führen (nemo tenetur se ipsum accusare). Es ist immer finales, zweckgerichtetes Verhalten notwendig. Niemand hat die Pflicht, seine eigene Strafverfolgung zu erleichtern oder zu ermöglichen.

Ausreichend ist jedoch eine Einwirkung auf den eigenen Körper, zum Beispiel die Versetzung in einen Verhandlungsunfähigen Zustand.

Die bloße hohe Straferwartung rechtfertigt für sich genommen keine Untersuchungshaft.

Definition Verdunkelungsgefahr

Ein Haftgrund besteht, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen […] das Verhalten des Beschuldigten den dringenden Verdacht begründet, er werde
a) Beweismittel vernichten, verändern, beiseite schaffen, unterdrücken oder fälschen oder
b) auf Mitbeschuldigte, Zeugen oder Sachverständige in unlauterer Weise einwirken oder
c) andere zu solchem Verhalten veranlassen,
und wenn deshalb die Gefahr droht, daß die Ermittlung der Wahrheit erschwert werde (Verdunkelungsgefahr).

§ 112 II Nr. 3 StPO

Der Haftgrund der Verdunkelungsgefahr existiert in drei Varianten:

  • Einwirken auf Beweismittel § 112 II Nr. 3 lit. a StPO
  • Einwirken auf Beweispersonen § 112 II Nr. 3 lit. b StPO
  • Anstiftung Dritter zu Verdunkelungshandlungen § 112 II Nr. 3 lit. c StPO

Voraussetzung der Verdunkelungsgefahr ist, dass bestimmte Tatsachen im Verhalten des Beschuldigten den dringenden Verdacht begründet, er werde in unlauterer Weise auf sachliche und persönliche Beweismittel einwirken.

Dazu muss die Verdunkelungsgefahr im engeren Sinn voliegen, also die Gefahr drohen, dass die Ermittlung der Wahrheit erschwert wird. Passivität ist auch hier nicht ausreichend. Es muss eine aktive Handlung des Beschuldigten vorliegen. Auf aktive Einwirkung hindeutende Tatsachen müssen hinreichend belegt sein, bloße Vermutungen genügen nicht (MüKoStPO/Böhm/Werner, 1. Aufl. 2014, StPO § 112 Rn. 63-67).

„Haftgrund“ der Schwerkriminalität

Gegen den Beschuldigten, der einer Straftat nach § 6 Absatz 1 Nummer 1 oder § 13 Absatz 1 des Völkerstrafgesetzbuches oder § 129a Abs. 1 oder Abs. 2, auch in Verbindung mit § 129b Abs. 1, oder nach den §§ 211, 212, 226, 306b oder 306c des Strafgesetzbuches oder, soweit durch die Tat Leib oder Leben eines anderen gefährdet worden ist, nach § 308 Abs. 1 bis 3 des Strafgesetzbuches dringend verdächtig ist, darf die Untersuchungshaft auch angeordnet werden, wenn ein Haftgrund nach Absatz 2 nicht besteht.
§ 112 III StPO

Die Schwerstkriminalität nach § 112 III StPO stellt keinen Haftgrund dar sondern normiert die Fälle der Kapitaldelikte, in denen kein Haftgrund notwendig ist.

Liegt der dringende Tatverdacht einer Katalogtat nach § 112 III StPO vor, ist Untersuchungshaft die Regel. Das sind Mord § 211 StGB, Totschlag § 212 StGB, Völkermord im Tötungsfall § 6 I Nr. 1 Völkerstrafgesetzbuch, schwere Körperverletzung § 226 StGB, besonders schweren Brandstiftung § 306b StGB, Brandstiftung mit Todesfolge § 306c StGB, Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion §§ 308 StGB und Bildung einer terroristischen Vereinigung §§ 129a I, II, 129b StGB.

Definition Wiederholungsgefahr

Die Wiederholungsgefahr nimmt unter den Haftgründen eine Sonderstellung ein. Wiederholungsgefahr ist nach § 112a II StPO subsidiär, greift also nur, falls kein anderer Haftgrund gegeben ist. Der Haftgrund der Wiederholungsgefahr ist präventiv-polizeilicher Natur. Der Haftgrund Wiederholungsgefahr hat den Zweck, die Allgemeinheit vor weiteren erheblichen Straftaten besonders gefährlicher Täter zu schützen. Der Begriff Untersuchungshaft ist bei der Wiederholungsgefahr verfehlt, da hier nicht das Ermittlungsverfahren im Vordergrund steht sondern Prävention. Es handelt sich daher um Sicherungshaft.

Voraussetzung der Wiederholungsgefahr ist der dringende Tatverdacht einer Anlasstat nach § 112a I Nr. 1 oder Nr. 2 StPO. Daher können zum Beispiel folgende Delikte Anlasstat für Wiederholungsgefahr sein: Sexueller Missbrauch, Vergewaltigung;

Zum Beispiel folgende Delikte können ebenfalls Anlasstat sein, wenn sie wiederholt oder fortgesetzt begangen worden sind, sie die Rechtsordnung schwerwiegend beeinträchtigen und eine Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr zu erwarten ist:

  • Betäubungsmittelstrafrecht §§ 29 I 1 Nr. 1 BtMG, 29a I BtMG, 30 I BtMG oder 30a I BtMG
  • § 4 III Nr. 1 lit. a NpSG gewerbsmäßiges Handeltreiben oder Inverkehrbringen von neuen psychoaktiven Stoffen
  • §§ 224 ff. StGB gefährliche Körperverletzung, schwere Körperverletzung, Körperverletzung mit Todesfolge
  • §§ 243 ff. StGB besonders schwerer Diebstahl, Bandendiebstahl, Wohnungseinbruchsdiebstahl, Diebstahl mit Waffen
  • §§ 249 ff. StGB Raub, schwerer Raub, räuberische Erpressung und räuberischer Diebstahl
  • § 263 StGB Betrug
  • §§ 306 ff. StGB Brandstiftung, schwere Brandstiftung, Brandstiftung mit Todesfolge

Weitere Voraussetzung der Untersuchungshaft wegen Wiederholungsgefahr ist, dass bestimmte Tatsachen die Gefahr begründen, dass vor rechtskräftiger Aburteilung weitere erhebliche Straftaten gleicher Art begangen werden oder die Straftat fortgesetzt wird.

Verhältnismäßigkeit der Untersuchungshaft

„Sie [Untersuchungshaft] darf nicht angeordnet werden, wenn sie zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung außer Verhältnis steht.“
§ 112 I 2 StPO

Untersuchungshaft stellt einen massiven Eingriff in Freiheitsgrundrechte dar. Daher ist sie nur zulässig, wenn der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gewahrt ist. Die Untersuchungshaft darf grundsätzlich nur angeordnet werden, wenn der öffentliche Anspruch auf Aufklärung der Tat, Sicherung des Strafverfahrens und Bestrafung nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen verwirklicht werden kann.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Picture of Konstantin Grubwinkler
Konstantin Grubwinkler
Konstantin Grubwinkler zählt zu den bekanntesten Strafverteidigern Deutschlands. Er ist renommierter Fachanwalt für Strafrecht und bundesweit gefragter Spezialist für Betäubungsmittelstrafrecht und Konsumcannabisgesetz.

Teilen

Letzte Artikel
Wann werden Einträge im Führungszeugnis gelöscht?
BtMG Strafenkatalog für Drogendelikte
Körperliche Misshandlung – Körperverletzung § 223 StGB
Welche Pflanzen und Samen fallen unter das BtMG? Salvia divinorum, Cocastrauch Samen usw.
Wie lange bleibt ein Eintrag im erweiterten Führungszeugnis?
34 KCanG – Strafenkatalog Konsumcannabisgesetz § 34 KCanG