Einfache Antwort: Sie sollten die Polizei nie anlügen, weil Sie mit der Polizei als Beschuldigter überhaupt nicht sprechen sollten.
Lüge als Zeuge
Sofern sie jedoch als Zeuge befragt werden und es ausgeschlossen ist, dass sie selbst beschuldigt werden oder sich selbst oder Angehörige belasten, sind Sie verpflichtet wahrheitsgemäß auszusagen. In diesem Fall sollten Sie auch tatsächlich die Wahrheit sagen. In Zweifelsfällen sollten Sie sich vorher von einem Strafverteidiger beraten lassen.
Jeder Zeuge kann die Auskunft auf solche Fragen verweigern, deren Beantwortung ihm selbst oder einem der in § 52 Abs. 1 bezeichneten Angehörigen die Gefahr zuziehen würde, wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden.
§ 55 StPO in der Fassung vom 25.07.2015
Mehr zu den Rechten und Pflichten des Zeugen im Strafverfahren hier.
Lüge als Beschuldigter
Als Beschuldigter haben Sie ein Aussageverweigerungsrecht und dürften schweigen. Wenn der Beschuldigte aussagt, unterliegt er keiner Wahrheitspflicht.
Nach Ansicht der Rechtsprechung hat der Beschuldigte kein „Recht zur Lüge“ (vgl. BGH, Urteil vom 10.2.2015 – 1 StR 488/14). Die Lüge selbst hat aber keine direkten Folgen. Lügt der Beschuldigte im Strafprozess, hat er deswegen keine Strafe zu befürchten. Der Beschuldigte darf zum Beispiel keine andere Person falsch verdächtigen und keine Straftat vortäuschen:
Folgenlose Lüge: „Ich war es nicht.“
Folgenlose Lüge: „Ich war es nicht, ich war zur Tatzeit in Brasilien.“
Strafbare Lüge: „Ich war es nicht, mein Nachbar wars.“
Alles über das Aussageverweigerungsrecht hier.
Es ist nicht gerade einfach und erfordert schon etwas Selbstvertrauen, gegenüber Polizei oder Staatsanwaltschaft keine Aussage zu machen und auch sämtliche (bohrende) Nachfragen abzulehnen. Viel mehr Kraft und Selbstvertrauen kostet aber eine Lüge. Vor allen Dingen gibt es überhaupt keinen Grund dazu, die Polizei anzulügen. Es gibt auch keinen Grund dazu, vor dem Schweigen gegenüber der Polizei Angst oder Bedenken zu haben. Es ist absolut allgemeine Meinung und sogar kodifiziertes Menschenrecht, dass der Beschuldigte im Strafverfahren das Recht hat zu schweigen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann es dem Beschuldigten nicht angelastet werden, wenn er von seinen prozessualen Rechten Gebrauch macht. Ganz besonders gilt das für das Aussageverweigerungsrecht.
Aus dem Berufen auf das Aussageverweigerungsrecht darf grundsätzlich kein Schluss zum Nachteil des Beschuldigten gezogen werden.
BVerfG StV 1995, 505; BGHSt – GS – 42, 139, 152; BGHSt 45, 367 (368 f.); BGH NJW 1992, 2304
[…] vielmehr darf das Schweigen des Beschuldigten als solches im Strafverfahren jedenfalls dann nicht als belastendes Indiz gegen ihn verwendet werden, wenn er die Einlassung zur Sache vollständig verweigert hat. Das aus der Menschenwürde des Beschuldigten hergeleitete Schweigerecht wäre illusorisch, müßte er befürchten, daß sein Schweigen später bei der Beweiswürdigung zu seinem Nachteil verwendet wird (vgl. auch BGHSt 38, 302, 305); eine Verwertung des Schweigens zum Schuldnachweis setzte den Beschuldigten mittelbar einem unzulässigen psychischen Aussagezwang aus (vgl. Stürner NJW 1981, 1757, 1758).
BVerfG (2. Kammer des 2. Senats ), Beschluß vom 07.07.1995 – 2 BvR 326/92, NStZ 1995, 555, beck-online
Es spricht alles dafür, als Beschuldigter von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch zu machen. Nach der Unschuldsvermutung ist der Beschuldigte so lange unschuldig, bis seine Schuld bewiesen worden ist.
Für eine Verurteilung reicht die Überzeugung des Gerichts aus. Die Schuld muss nicht mit wissenschaftlicher Sicherheit feststehen. Trotzdem sind Ausreden nicht sinnvoll. Falls nicht mit der notwendigen Verurteilungswahrscheinlichkeit eine Straftat bewiesen werden kann, ist das Verfahren einzustellen oder der Angeklagte freizusprechen. Eine Ausrede oder Lüge gegenüber der Polizei ändert daran wenig. Die Ausrede hat lediglich zur Folge, dass man sich selbst Verteidigungschancen abschneidet. In einem frühen Verfahrensstadium eine Stellungnahme abzugeben legt den Beschuldigten unnötig fest. Die Abgabe einer verfrühten Stellungnahme für den Beschuldigten ist ein klassischer Fehler von nicht spezialisierten Rechtsanwälten. Zumindest vor Einsicht in die Ermittlungsakte ist eine Stellungnahme so gut wie nie sinnvoll, da noch nicht ansatzweise der genaue Tatvorwurf und die Beweislage klar sind. Erst nach Akteneinsicht durch einen Verteidiger kann optimal beurteilt werden, ob eine Stellungnahme sinnvoll ist oder nicht. In den allermeisten Fällen ist eine Stellungnahme nicht sinnvoll. Es ist schwer prognostizierbar, wie Zeugen in einer mündlichen Hauptverhandlung aussagen und welche weiteren Beweismittel noch verfügbar sein werden. Ein zu frühes Festlegen auf eine Verteidigungsstrategie (Geständnis, Wiedergutmachung, Bestreiten, Alibi, etc.) ist Blindflug und stellt ein unkalkulierbares Risiko dar.
Zur Verdeutlichung die Prüfung eines (hoffentlich) fiktiven Falles:
Sie kaufen am 1. August 2019 von Ihrem langjährigen Bekannten Adalbert in München 100 Gramm Marihuana. Sie holen den Stoff bei seiner Wohnadresse in München ab und zahlen dafür 800,- €. Sie planen, gut 30 Gramm davon selbst über die nächsten Monate zu konsumieren. Über den Rest haben Sie sich noch keine genauen Vorstellungen gemacht. Vielleicht verkaufen Sie kleinere Mengen gewinnbringend an Bekannte oder geben Freunden auch mal etwas zum Selbstkostenpreis oder sogar umsonst ab. Sie haben auch in den Jahren davor schon hin und wieder 20 – 30g Marihuana und sogar einmal 1g Amphetamin von Adalbert gekauft.
Sechs Wochen später am Monatag um 7:00 Uhr Vormittag steht die Kriminalpolizei bei Ihnen vor der Haustür und möchte ihre Wohnung aufgrund eines Durchsuchungsbeschlusses des Amtsgerichts wegen Verstoßes gegen das BtMG durchsuchen.
Während die Beamten Ihre Wohnung auseinander nehmen, werden Sie beiläufig gefragt, ob Sie etwas mit Drogen zu tun haben. Nach der Durchsuchung werden Sie “gebeten”, die Polizei mit zur Wache zu begleiten. Dort werden Sie vernommen und die Polizei möchte Sie erkennungsdienstlich behandeln. Auf der Wache werden Sie gefragt, ob Sie Adalbert aus München kennen und am 1. August 100g Marihuana von ihm erworben haben. Sie werden gefragt, ob Sie einverstanden sind, wenn von Ihnen Fotos und Fingerabdrücke angefertigt werden.
Sie haben nun unendlich viele Möglichkeiten. Einige spielen wir im Folgenden durch.
So viel sei vorweggenommen: Nur eine davon ist sinnvoll.
1. Aussageverweigerung
Sie verweigern die Aussage. Wenn Sie nach Konsum, Drogen oder dem 1. August 2019 befragt werden, entgegen Sie der Polizei: “Ich mache keine Angaben und mache von meinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch.”
Sie unterschreiben nichts und geben auch sonst keine Informationen heraus. Sie lassen auch nicht freiwillig Fotos und Fingerabdrücke von Ihnen anfertigen.
Herzlichen Glückwunsch, Sie gehören zu den wenigen, die alles richtig gemacht haben. Sie behalten sämtliche Verteidigungsmöglichkeiten, können aber notfalls später immer noch ein Geständnis ablegen.
Die Polizei erlangt keine Fotos und Fingerabdrücke von Ihnen, die in diesem oder anderen Verfahren gegen Sie verwendet werden können.
Einziger Nachteil: Sollten Sie später eine Aussage nach § 31 BtMG machen wollen, kann es dafür zu spät sein. Das kann aber auch heute schon der Fall sein.
2. Vollständiges Abstreiten
Sie sagen, Sie kennen keinen Adalbert und waren an diesem Tag auch nicht in München.
Nachteile:
- Sie haben keine Ahnung, was die Polizei weiß. Wenn sich eine dieser Aussagen widerlegen lässt und sie damit als Lügner enttarnt wurden, werden Sie in diesem Verfahren kaum mehr glaubwürdig wirken. Wenn sich dann herausstellt, dass Sie Adalbert doch kennen und an diesem Tag sogar in München waren, deutet das stark darauf hin, dass Sie gelogen haben um die Straftat zu vertuschen.
- Wenn sich Ihre Aussage auch nur teilweise widerlegen lässt, haben Sie keine Möglichkeit mehr, Ihre Aussage zu verändern ohne jede Glaubwürdigkeit zu verlieren.
- Sie treffen einfach zu widerlegende Aussagen ohne vorher überprüft zu haben, ob die Polizei nicht schon den Gegenbeweis in der Hand hat.
Was wird die Polizei als Nächstes tun? In jedem Fall wird Adalbert verhört werden. Es wird aller Voraussicht nach das Mobiltelefon von Adalbert beschlagnahmt werden. Gegebenenfalls war Adalbert auch noch so zuvorkommend, der Polizei den Sicherheitscode und den PIN seines Mobiltelefons zu geben. Jetzt gibt es mehrere Varianten: Auf dem Mobiltelefon finden sich explizite Nachrichten, die beweisen, dass sie eine Zeit vereinbart und vielleicht sogar etwas bestellt haben. Gegebenenfalls würden sich auch nur sehr kryptische Nachrichten zwischen Ihnen von diesem Tag auf dem Mobiltelefon finden. Wenn Sie etwas vorsichtiger waren, findet sich keine belastende Kommunikation zwischen Ihnen. Möglicherweise aber eine App, die Nachrichten nach der Zustellung vernichtet wie zum Beispiel Snapchat oder Telegramm. Vielleicht findet sich auch nichts dergleichen, da Adalbert so schlau war, sämtliche Nachrichten von Ihnen zu löschen. Dann befindet sich aber leider vielleicht Ihre Telefonnummer in den Kontakten eingespeichert. Vielleicht sogar mit Ihrem Namen.
Das beste Ergebnis für Sie wäre, dass sich keinerlei Hinweis auf Sie auf dem Mobiltelefon befindet. Wie wahrscheinlich ist es jedoch, dass sich auf Ihrem und dem Mobiltelefon von Adalbert keinerlei Hinweis auf den jeweils anderen befindet.
3. Lügen mit Wahrheit garniert
Sie behaupten, zwar am 1. August in München gewesen zu sein. Sie haben Adalbert aber nicht besucht und erst Recht keine Betäubungsmittel von ihm erworben.
Teilweises Bestreiten mit Preisgabe einer kleinen Wahrheit ist zwar einfacher, als eine komplette Lüge, aber nicht unbedingt sinnvoller. Zwar können Lügen erwiesenermaßen viel besser verkauft werden, wenn sie in tatsächliche Geschehnisse eingebettet werden, die Nachteile des vollständigen Abstreitens haben Sie aber trotzdem. Wenn Sie bei der Lüge ertappt werden, wird ihnen kein Richter mehr glauben und eine Verteidigung im Verfahren ist schwerer möglich.
4. Gelogenes Alibi
Sie geben zu, Adalbert zu kennen, behaupten aber, an diesem Tag nicht in München gewesen zu sein. Sie hatten für ihren Arbeitgeber in Frankfurt einen Termin und waren erst gegen 22:00 Uhr zu Hause. Die Lebensgefährtin kann bezeugen, dass sie nach 22:00 Uhr das Haus nicht mehr verlassen haben.
Nachteile:
- Sie behaupten harte Tatsachen und Lügen, die für die Polizei leicht nachprüfbar sind (s.o.)
- Durch die Angabe der Freundin als Zeugin, bringen Sie diese in arge Schwierigkeiten. Als Zeugin muss Sie wahrheitsgemäß aussagen und würde sich mit einer Lüge wegen versuchter Strafvereitelung und falscher uneidlicher Aussage strafbar machen. Wenn sie für Sie lügt, macht sie sich strafbar.
- Wenn sie später die Wahrheit sagt und Ihr Alibi nicht bestätigt, verlieren Sie jede Glaubwürdigkeit im Verfahren und überzeugen das Gericht schon vor Beginn der Verhandlung von Ihrer Schuld.
5. Beschönigen / Erklären
Sie geben zu, am 1. August 2019 eine Menge von 100g von Adalbert gekauft zu haben. Bei dieser Menge handelt es sich aber ausschließlich um “Eigenbedarf”. Auf die Frage der Polizei, warum Sie so viel gekauft haben, sagen Sie, Sie würden eben viel konsumieren und es brauchen. Daher wären Sie auch drauf und dran, ein Rezept für Cannabis als Schmerzpatient zu erhalten. Auf Frage der Polizei, wie oft Sie konsumieren, geben Sie an, dass Sie 4-5 Mal pro Woche rauchen.
Diese Antwort ist aus vielen Gründen problematisch:
- Sie verlieren die Chance auf einen Freispruch, da Sie bereits ein umfassendes Geständnis abgegeben haben.
- Auf Grund der (absolut unnötigen) Angaben zu Ihren Konsumgewohnheiten wird Ihnen die Fahrerlaubnis mit ziemlicher Sicherheit entzogen.
- Sie belasten Adalbert schwer. Durch Ihre belastende Aussage reduzieren Sie auch die Verteidigungsschancen von Adalbert. Die Wahrscheinlichkeit erhöht sich, dass auch Adalbert selbst geständig ist und dabei umfassend aussagt. Bei dieser Aussage wird wahrscheinlich auch herauskommen, dass Sie auch früher schon öfter von Adalbert gekauft haben. Aus einem Fall gegen Sie werden so mehrere und ihr Strafmaß verschärft sich deutlich. Lieber ein Fall ohne Geständnis als mehrere mit Geständnis.
Das Vorgehen der Beschönigung ist weit verbreitet. Das hat viele Gründe. Einer davon ist, dass wir alle doch im Innersten etwas obrigkeitshörig sind und die Polizei ungern anlügen oder ihr widersprechen. Die Polizei tritt autoritär auf und insgeheim erhoffen wir uns von der Polizei eine wohlwollende Entscheidung. Die Polizei trifft aber keine Entscheidung. Vielmehr sind die Beamten in Vernehmungstechnik geschult und ihr Ziel ist es, Sie zu überführen.
Meiner Meinung nach ist die Strategie des Beschönigens in uns tief verwurzelt. Sie wird uns von Kindesbeinen antrainiert weil sie auch oft erfolgreich ist. Sie ist die Reaktion, die dem sozialen Menschen am vertrautesten ist. Wir sind es einfach nicht gewohnt, zu Anschuldigungen zu schweigen sondern haben ein Bedürfnis, uns zu rechtfertigen. Problem: In zwischenmenschlicher Beziehung, im Beruf und in der Schule gibt es nicht die Möglichkeit der Aussageverweigerung. Wenn die Ehefrau von ihrem Mann gefragt wird, ob sie sich mit einem anderen Mann getroffen hat, wird die Antwort „Ich möchte mich zu diesem Vorwurf nicht äußern.“ selten auf Verständnis stoßen. Eine Beschönigung wie „Ja, aber rein beruflich.“ oder „Ja, rein zufällig weil…“ liegt hier viel näher.
6. Volles Geständnis
Sie geben zu, am 1. August 2019 eine Menge von 100g von Adalbert gekauft zu haben und vorgehabt zu haben, einen Teil selbst zu konsumieren und einen Teil zu verkaufen. Sie lassen freiwillig Fotos und Fingerabdrücke von sich anfertigen.
Nachteile:
- Durch das Geständnis ist ein Freispruch für Sie oder Adalbert nahezu ausgeschlossen.
- Auch gegen Adalbert wird ein Ermittlungsverfahren eingeleitet und dabei werden wahrscheinlich auch Beweise gegen Sie von früheren Käufen gefunden werden. Aus einem Tatvorwurf von 100g werden so viel mehr.
- Sie verlieren die Möglichkeit einer Verständigung in der Hauptverhandlung („Deal“).
- Durch die Aussage zum Konsum könnten sich Probleme für die Fahrerlaubnis ergeben.
- Adalbert wird Ihnen nicht gerade dankbar sein, Ihr Ruf als „31er“ wird sich in der Szene gegebenenfalls herumsprechen.
Vorteil:
- Im gerichtlichen Verfahren wird das frühe Geständnis strafmildernd berücksichtigt.
Eine Antwort
Einer meiner Dozenten gab uns Kursteilnehmern mit auf den Weg: „Keine Bürgschaften, keine Vollmachten, keine Aussagen gegenüber der Polizei, verleihen Sie nichts und gehen Sie Kindern aus dem Weg.“ Leider lügen Polizisten wie gedruckt. Ich habe das bereits zwei Mal selbst erfahren müssen. Vielleicht wäre einmal eine Strafverschärfung für Beamte wegen Amtsmissbracuhs, Falschaussage, etc. angebracht.